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Ein Zeichen gegen das Vergessen

Wanderausstellung „Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte“ am Robert-Schuman-Gymnasium eröffnet 

Am 20. Juni 1942 schrieb Anne Frank in ihr Tagebuch: „Es ist für jemanden wie mich ein eigenartiges Gefühl, Tagebuch zu schreiben. Nicht nur, dass ich noch nie geschrieben habe, sondern ich denke auch, dass sich später keiner, weder ich noch ein anderer, für die Herzensergüsse eines dreizehnjährigen Schulmädchens interessieren wird.“ Sie konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, wie falsch sie mit dieser Einschätzung liegen würde. Heute ist das Tagebuch der Anne Frank eines der meistgelesenen Bücher der Welt. Es wurde in über 80 Sprachen übersetzt und ist zu einem Symbol für den Holocaust geworden. Tausende von Jugendlichen finden über das Werk ihren ersten Zugang zur Beschäftigung mit der Verfolgung und Ermordung der Jüdinnen und Juden in Europa. Die Aufzeichnungen des jüdischen Mädchens, das 1929 in Frankfurt am Main geboren wurde und 1934 mit ihrer Familie nach Amsterdam flüchtete, hatte in Amsterdam vom 12. Juni 1942 bis zum 1. August 1944 versteckt vor den Nationalsozialisten ein Tagebuch geschrieben, das nach dem Krieg Weltruhm erlangt hat. „Ihr Schicksal lässt niemanden unberührt“, sagte die stellvertretende Landrätin Dr. Johanna Etti zu den Gästen bei der Eröffnung der Wanderausstellung „Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte“ am Robert-Schuman-Gymnasium.

Antisemitismus ist allgegenwärtig

Schulleiter Rudolf Zell verwies in seiner Ansprache auf mehr als 3000 antisemitische Straftaten, die vergangenes Jahr in Deutschland registriert worden sind. Darunter fallen antijüdische Hetze, Hasspropaganda in den sozialen Medien, Anschläge auf Synagogen und Gewaltverbrechen gegen Menschen. Ausgrenzung, Feindschaft und Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen seien aber meist auf Unwissenheit und Ignoranz zurückzuführen. Aus diesem Grund sei die Konfrontation mit den Ursachen, dem Verlauf und den Folgen des Antisemitismus weiterhin unerlässlich. Zell sei daher besonders stolz, dass das P-Seminar unter der Leitung von Antonia Wänninger-Gierl die Anne-Frank-Ausstellung nach Cham geholt habe und sich in beeindruckender Weise mit den wichtigen Themen Identitätsfindung, Gruppenzugehörigkeit, Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus auseinandersetzt.  Ähnliche Worte fand auch Etti, die für den kurzfristig verhinderten Schirmherrn Franz Löffler zum Publikum sprach. Sie selbst habe das Tagebuch als Jugendliche gelesen und mit Anne Frank gelitten. Interessierte Leute könnten nun durch die aktive Auseinandersetzung mit den Inhalten dieser Ausstellung die schrecklichen Geschehnisse intensiv nacherleben. Sie plädierte in diesem Zusammenhang auch für ein verstärktes Engagement des Einzelnen: „Möge dies möglichst viele junge Menschen motivieren, sich verantwortungsvoll für den Erhalt von Demokratie, Rechtsstaat und Toleranz einzusetzen.“ Neben dem Tagebuch aus ihrer Schulzeit hatte Etti auch einen mit einem roten Herz verzierten Stein aus ihrem Garten mitgebracht, um diesen vor dem Gebäude zur Erinnerung und Mahnung abzulegen. Für Bürgermeister Martin Stoiber gelte es, das Andenken an Anne Frank lebendig zu halten, damit sich auch die junge Generation damit beschäftigt. Mit nicht einmal 16 Jahren starb das Mädchen Ende Februar 1945 kurz nach ihrer Schwester an den unmenschlichen Bedingungen im Konzentrationslager Bergen-Belsen. „Wir können die Vergangenheit nicht mehr ändern, aber es ist unsere Pflicht, die Erinnerung zu bewahren. Das Robert-Schuman-Gymnasium setze nun ein deutliches Zeichen gegen Diskriminierung und Hass“, so Stoiber. Manfred Sturz bedankte sich im Namen der jüdischen Gemeinde bei den Schülerinnen und Schülern für die geleistete Arbeit. Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus sei aus seiner Sicht wichtiger denn je. Noch immer erlebe er Anfeindungen und Beschimpfungen im Alltag. Die Ausstellung, die im ehemaligen jüdischen Gebetssaal von Cham stattfindet, solle deswegen ein Diskussions- und Lernort sein soll, an dem die jungen Leute erkennen, „dass Juden nicht anders sind. 

Eine Mammutaufgabe

Die Schülerinnen Alina Adams und Natalie Löffler blickten auf die vergangenen Monate zurück. Das P-Seminar habe sich zur Aufgabe gemacht, Anne Franks Geschichte in Cham erlebbar zu machen. Doch das Vorhaben habe sich als große Herausforderung entpuppt. Die Teilnehmer mussten Förderer finden, ein Rahmenprogramm zusammenstellen, sich zu Ausstellungsführern ausbilden lassen und Broschüren entwerfen. Bei allen Problemen habe sich ihre Lehrerin Antonia Wänninger-Gierl aber stets als fester Rückhalt erwiesen. Da besonders die Finanzierung das Seminar vor große Probleme stellte, bedankten sich die Schülerinnen bei allen Geldgebern. Namentlich nannten sie den Landkreis Cham, die Stadt Cham, die Sparkasse, den Rotary Club und den Kreisjugendring. Der vierwöchige Zeitraum der Ausstellung werde nun von einem vielseitigen, kostenlosen Begleitprogramm mit weiterführenden Themen flankiert. Dazu zähle eine Kinovorführung, eine Führung durch den jüdischen Friedhof, ein Seniorennachmittag, eine Kreideaktion für mehr Demokratie und Vielfalt und ein Konzert. Alexandra Riha vom Anne-Frank-Zentrum Berlin freute sich, dass Cham nun ein fester Teil der „Anne-Frank-Community“ sei. Die Ausstellung richte sich besonders an Jugendliche, die von gleichaltrigen Peer-Guides durch die Bereiche der zahlreichen Infowände und Ausstellungsstücke geführt werden. Sie rege außerdem dazu an, den Blick in die Gegenwart und auf aktuelle Formen von Antisemitismus und Diskriminierung zu werfen. Die Geschichte der Anne Frank zeige aber auch die Person dahinter: Ein Mädchen mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die sterben musste, weil sie Jüdin war. Ihr Tagebuch gebe den 1,5 Millionen ermordeten jüdischen Kindern ein Gesicht. Ihr Traum, eines Tages Schriftstellerin zu werden, ging dennoch in Erfüllung. Am 5. April 1944 hatte sie in ihr Tagebuch geschrieben: „O ja, ich will nicht umsonst gelebt haben, wie die meisten Menschen. Ich will den Menschen, die um mich herum leben und mich nicht kennen, Freude und Nutzen bringen. Ich will fortleben nach meinem Tod.“ Mit dem Ausstellungsprojekt leiste die Schule einen Beitrag, dass sich diese Hoffnung erfüllt.

 

Info: Die Ausstellung findet vom 23.11. bis 18.12. jeweils sonntags von 14 bis 17 Uhr Robert-Schuman-Gymnasium (Klosterstraße 9) statt. Gruppenführungen für Schulklassen und Jugendgruppen: Montag bis Donnerstag: 9 Uhr/11 Uhr/14 Uhr, Freitag: 9 Uhr/11 Uhr Anmeldung unter anne-frank-ausstellung@rsg-cham.schule.

Das Rahmenprogramm: Ausstellungsbesuch für Senioren: Mittwoch, 30. November (14 Uhr, Robert-Schuman-Gymnasium Cham); Lesung: Emilie und Oskar Schindler und andere unbesungene Helden: Donnerstag, 1. Dezember (19 Uhr, Robert-Schuman-Gymnasium Cham), Kinovorführung: Das Tagebuch der Anne Frank: Sonntag, 4. Dezember (14 Uhr), Lesung und Gespräch mit Autor und Journalist Niklas Frank: Freitag: 9. Dezember 2022 (19 Uhr, Robert-Schuman-Gymnasium Cham), Konzert von Chakulou Freitag, 16. Dezember (19.30 Uhr, Robert-Schuman-Gymnasium Cham). Die Teilnahme an den Veranstaltungen ist kostenfrei.

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