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„Lasst euch nicht vorschreiben, wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt.“ 

27. Februar 2024

Dr. h.c. mult. Charlotte Knobloch, 1932 als Charlotte Neuland geboren, war sieben Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg ausbrach und sie war dreizehn Jahre alt, als er endete. Sie ist eine der letzten Zeitzeuginnen des Holocaust. Die Friedrich-Ebert-Stiftung Bayern ermöglichte am 27. 2. 2024 Schulklassen in Bayern, darunter auch der 9c des Robert-Schuman-Gymnasiums, einen Live-Stream aus dem NS-Dokumentationszentrum München mit dieser überaus wichtigen Zeitzeugin. Sie ist seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und in diesem Jahr wurde ihr der bayerische Verfassungsorden für ihre Verdienste an unserer Gesellschaft verliehen.  

Eine Frage, die vorab von Schülern gestellt werden konnte, lautete, ob sie sich der Gefahr, in der sie schwebte, bewusst war.  

Als Kind wurde sie damit konfrontiert, dass sie plötzlich nicht mehr mit den Nachbarskindern spielen durfte. Als sie zu den Nachbarskindern rüber laufen wollte, versperrte ihr eine Hausmeisterin den Weg und sagte, dass die Kinder dieses Hauses nicht mit einem Judenkind spielen dürfen.  Darauf ist sie weinend zur Großmutter gelaufen. Die Großmutter war entsetzt darüber. Nun musste die Großmutter erklären, was das ist, ein Jude. Da sie in der Nähe einer Kirche wohnten, behalf sie sich so, dass sie meinte Christen würden in die Kirche gehen und Juden in die Synagoge. Ein halbes Jahr später erklärte ihnen die Klavierlehrerin weinend, dass sie Charlotte keinen Unterricht mehr erteilen könne. Die Gestapo hatte die Klavierlehrerin festgenommen und ihr gedroht, dass, wenn sie das Judenkind weiter unterrichtet, dann wird es ihr gehen wie dem Judenkind. Das Ziel der Nazis war es, Juden zu verängstigen. Sie durften sich nicht mehr auf Parkbänke setzen, keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen oder Haustiere halten. Wenn die Nazis in die Häuser kamen, dann kamen sie nachts, um sie in der Nacht noch stärker in Schock zu versetzen. Sie durchsuchten das Haus nach Wertgegenständen, listeten diese auf und ließen ihren Vater unterschreiben, dass er die Gegenstände abgegeben hätte. 

Am 9. November 1938, in der Reichspogromnacht, entkamen sie den Nazis, weil ihr Vater durch einen Anruf gewarnt worden war und man ihm geraten hatte, er solle auf die Straße gehen. Das hat ihren Vater vor der Verhaftung gerettet. Sie musste mit ansehen, wie die Synagoge abbrannte. Ihre danebengelegene Schule und ihr Kindergarten brannten ebenso ab. Sie fragte ihren Vater: „Warum kommt denn nicht die Feuerwehr?“ Da erschrak ihr Vater sehr und zog sie weg. Er hatte Angst, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es war ihnen klar, dass sie aus Deutschland wegmussten, aber wohin sollten sie gehen. Andere Länder waren nicht begeistert, Juden aufzunehmen. Sie und ihr Vater hätten die Möglichkeit gehabt, in die USA auszuwandern, aber ihre Großmutter hätten sie zurücklassen müssen. Die Großmutter sei zu alt. Da sie die Großmutter, die für Charlotte Knobloch wie eine Mutter war, nicht zurücklassen wollten, verwarfen sie die Auswanderung in die USA. Als die Deportation unausweichlich wurde, war für die Großmutter klar, dass sie sich auf eine der Listen setzen ließ. Ihrer Enkelin erzählte sie, sie ginge auf Kur, um ihre Gesundheit zu stärken. Sie kam nach Theresienstadt, wo sie verhungerte.  

Die Schüler wollten wissen, ob sie sich auf dem Bauernhof im mittelfränkischen Arberg, wo sie unterkam und dort als Lotte Hummel lebte, Angst hatte oder sich zu Hause und beschützt fühlen konnte.  

Charlotte Knobloch berichtete, wie sie auf den Bauernhof in Mittelfranken kam. Die Frau, bei der sie unterkam, Kreszentia Hummel, war die frühere Haushälterin ihres Onkels. Ihr Vater, der Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie leisten musste, hatte den Kontakt hergestellt. Am Hof Kreszentia Hummels gab es deren 80 Jahre alten Vater und deren kranke Schwester. Charlottes Vater hat sich große Sorgen gemacht, dass sie sie nicht aufnehmen würden. Ihr Vater gab ehrlich zu, dass sich die mittelfränkische Familie in größter Gefahr befindet, wenn sie sie aufnehmen. Die Familie Hummel entschied sich für eine Aufnahme des Mädchens trotz der Gefahr. Ausschlaggebend war, dass es eine sehr fromme Familie war, die hofften mit dieser guten Tat die Heimkehr der beiden Söhne, die in Afrika und Russland an der Front waren, bewirken zu können. Im Dorf, wo es hauptsächlich nur mehr Frauen gab, weil die Männer bei der Wehrmacht waren, beschäftigte man sich natürlich mit ihr. Bald schon glaubten die Frauen zu wissen, dass Charlotte das uneheliche Kind von Kreszentia, die für ihre Frömmigkeit bekannt war, sei. Diese Annahme bot Charlotte Schutz. Von da an war sie Lotte Hummel und die Dorfbewohnerinnen wären nicht auf die Idee gekommen, dass sie ein jüdisches Kind war. Das Leben auf dem Hof war hart. Es waren ja keine Männer da. Der alte Bauer war über 80 und die Schwester Kreszentias war krank. Charlotte half die Felder zu bestellen, die Tiere zu versorgen und im Winter das Holz zu machen. Charlotte hat das gern gemacht. Es war ihre Rettung. Nur der Pfarrer wusste mehr über ihre Identität. Natürlich bemerkte er, dass sie sich nicht recht mit den Gebräuchen in der Kirche auskannte. Doch er unterstützte Charlotte Knobloch sehr. Als zum Kriegsende die SS ins Dorf kam, versteckte er sie in einem Keller, wo er sie nachts mit Essen versorgte. Endlich kamen die Amerikaner. Sie fuhren mit Panzern vorbei und warfen den Kindern Kaugummis zu. Jetzt wusste sie, dass es die Nazis nicht mehr gab. Eine Last war von ihr abgefallen.  

Angesichts der erstarkten AfD und der Zunahme von Rechtsextremismus, stellt sich die Frage, was wir alle denn tun können. Wie können wir uns einsetzen gegen Antisemitismus und Judenhass? 

Darauf erwiderte sie: „Es ist nur gut, dass man weiß, was Menschen Menschen antun können.“ […] „Für mich ist es sehr wichtig, dass ihr Euch für Eure Zukunft nicht vorschreiben lasst, wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt.“ 

Autor: Michaela Stahl 

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